Teleneurologie

Die Teleneurologie ermöglicht mittels bidirektionaler Videokonferenztechnologie die Durchführung einer neurologischen Untersuchung in der Ferne. Gemeinsam mit der digitalen Übermittlung zerebraler Schnittbilder lässt sie dadurch eine reliable, neurologische Befunderhebung und –interpretation zu und ermöglicht somit einer Vielzahl von Patienten Zugang zu fachärztlich-neurologischer Expertise, denen diese sonst verwehrt bleiben würde.

In kaum einer anderen Fachdisziplin ist es wie in der Neurologie möglich, durch die  alleinige, klinisch-neurologische Untersuchung die Patienten rein audio-visuell zuverlässig beurteilen zu können. Dies trifft nicht nur auf orientierte, kooperative Patienten zu, sondern inbesondere auf Patienten mit akutneurologischen Symptome wie Lähmungen, Sprachstörungen sowie qualitativen und quantitativen Bewusstseinsstörungen.

Das Hauptanwendungsgebiet der Teleneurologie ist bisher die akute Versorgung von Schlaganfallpatienten durch telemedizinische Netzwerke. Patienten in Krankenhäusern / Regionen ohne neurologische Versorgung (Stroke Units) werden dabei von neurologischen Fachärzten aus überregionalen Versorgungszentren telekonsiliarisch untersucht. Übrige, für die weitere differentialdiagnostische Abklärung wichtige Parameter (Laborergebnisse, Vitalparameter, EKG-Befunde) werden gemeinsam mit den radiologischen Bildmaterialien (CT/MRT) von konsilanfragender Seite generiert und über die Netzwerkverbindung zugänglich gemacht. Die radiologische Befundung erfolgt entweder direkt vor Ort oder ebenfalls teleradiologisch.
In Abhängigkeit von der Diagnose ist nach Erhalt aller therapierelevanten Ergebnisse eine unverzügliche Therapie möglich (z.B. systemische Thrombolyse bei ischämischen Schlaganfall ohne höhergradigen Gefäßverschluss).

Etablierte und initiierte und geplante Anwendungsgebiete der Teleneurologie

Die rechtliche Grundlage der telemedizinischen Behandlung bildet § 7 Absatz 4 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä), in der die die Behandlungsgrundsätze und Verhaltensregeln im Kontext der Fernbehandlung geregelt werden. Demnach dürfen „Ärztinnen und Ärzte individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“ Das bedeutet, dass jeder Patient persönlichen Kontakt zu einer/einem physisch anwesenden Ärztin/Arzt haben muss, diese/dieser jedoch unter Einsatz von Print- und Kommunikationsmedien einen konsiliarischen Rat einzuholen darf, d.h. die Behandlung nicht ausschließlich durch physisch anwesende Ärztinnen oder Ärzte erfolgen muss.

Die Behandlung von Schlaganfallpatienten in spezialisierten Klinikeinrichtungen, sog. Stroke Units, tragen nachweislich zu einer Reduktion von schlaganfallassoziierten Komplikationen, Sterblichkeit, Pflegebedürftigkeit und Hospitalisierung der Patienten bei (). Obwohl sich die Anzahl  zertifizierter Stroke Units in den vergangenen Jahren auf inzwischen > 300 zertifizierte Einrichtungen im gesamten Land erhöht hat, ist eine flächendeckende Versorgung in Deutschland nach wie vor nicht überall gewährleistet. Davon im Wesentlichen betroffen sind ländliche Regionen, in denen die Entfernungen bis zur nächsten Stroke Unit sehr lang sind.
Ein Lösungskonzept, die Versorgung von Patienten mit einem akuten Hirninfarkt nachhaltig zu optimierten, bieten spezialisierte Schlaganfall−Schwerpunkt−Einheiten, die sog. Tele-Stroke-Units. Regionale Krankenhäuser erfahren dabei eine telemedizinischen Anbindung an überregionale Stroke Units. Dies ermöglicht den regionalen Kliniken, auch ohne das Vorhalten einer neurologischen Abteilung eine rasche, fachspezifische Schlaganfallbehandlung zu etablieren. Seit 2011 werden die Einrichtungen durch die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe zertifiziert, wodurch die vorgegebenen, hohen Qualitätsstandards sichergestellt werden.

Voraussetzung für die Etablierung von Tele-Stroke-Units in den regionalen Partnerkliniken sind (1) eine technisch−telemedizinischen Ausstattung inklusive (2) einer jederzeit verfügbaren („24/7“) telemedizinische Beratung durch neurologische Schlaganfallexpertise, (3) auf dem aktuellen Stand verbindliche Behandlungs- und Strukturstandards, (4) personelle Ressourcen sowie (5) ein netzwerkübergreifendes Qualitätsmanagement (kontinuierliche, regelmäßige Schulungen und Fortbildungen, Bed-Side-Visiten, regelmäßig aktualisierte Optimierungsaktivitäten). Dadurch können die Patienten von einem multidisziplinären Team in der Akuttherapie und frühen Rehabilitation betreut und die  die effektive Umsetzung des Stroke−Unit−Konzeptes auch in neurologisch unterversorgten Regionen ermöglicht werden( ).

Neben dem Schlaganfall gibt es weitere akut-neurologische Krankheitsbilder, bei welchen ein rasches Zeitmanagement (‚TIME IS BRAIN‘), neurologische Fachkenntnisse und ein multiprofessioneller Teamansatz von enormer Bedeutung sind. Bei Erkrankungen wie erregerbedingten Hirn- oder Hirnhautentzündungen, dem Status epilepticus, dem Schädel-Hirn-Trauma oder dem akuten Querschnittsyndrom sind eine schnellstmögliche Diagnosestellung und Initiierung einer ursachengerechten und suffizienten Behandlung von höchster Priorität. Zeitverzögerungen im Therapiebeginn oder insuffiziente Therapieansätze aufgrund nicht zugänglicher fachspezifischer Expertise können bei einer Vielzahl neurologischer Notfälle zu irreversiblen Schädigungen mit bleibenden Behinderungen führen. Beispiel hierfür sind ein Status epilepticus mit atypischer klinischer Präsentation oder eine rasch fortschreitende Wesensveränderung auf dem Boden einer viralen Enzephalitis, bei welchen nicht nur die initiale Diagnosestellung, sondern auch die weitere stationäre Behandlung eine dringende Fachexpertise und geschultes Personal in allen medizinischen Bereichen benötigt.

In Erweiterung der Tele-Stroke-Units ist das Konzept der Neuro-Akut-Units daher, ein breiteres Spektrum akuter neurologischer Erkrankungen  begleitend zu versorgen. Neben den bereits für die Tele-Stroke-Unit vorausgesetzten Standards ( ) wird das Qualitätsmanagement entsprechend thematisch erweitert und Schulungen, Fortbildungen sowie Bed-Side-Visiten auf alle o. G. neurologischen Krankheitsbilder angepasst. Auf technischer Seite werden u. a.  spezielle, einfach-handhabende Untersuchungsmodule („Dry-electrode-EEG“) zur Verfügung gestellt. Zentrales Merkmal der Neuro-Akut-Units ist also der nachhaltige Aufbau einer regionalen Versorgungsstruktur unter Hinzuziehung der telemedizinischen Expertise.